SE Was L(S)ie(h)st Du?

Wir leben in einer visuellen Welt! Die Einwirkung auf unsere Sehrgewohnheiten und Bildvorstellungen werden durch zunehmenden Konsum von Streamingdiensten, Social-Media-Plattformen und VR-Brillen bestimmt. Die Digitalisierung ermöglicht uns immer tiefer in Bildwelten einzutauchen, machmal auch zu flüchten. Zumeist werden diese Bildwelten aber nicht selbst geschaffen, sondern vorgestellt, präsentiert auf dem spiegelnden Displays eines HD-Bildschirms. Die eigene Fantasie darf pausieren. 

Beim Lesen eines Romans, einer Novelle, einer Erzählung, einer Kurzgeschichte … läuft jedoch unablässig ein Film vor dem „geistigen Auge“. Die Vorstellung, wie ein in Textform beschriebener Raum, eine beschriebene Situation, ein Dialog, das Aussehen einer Figur für den Leser aussieht, ist so individuell und unergründlich unterschiedlich wie der Leser selbst. Dass diese Bilder natürlich mehr und mehr durch bereits Gesehenes bestimmt und referenziert werden ist nicht zu verhindern. Wer beispielsweise erst einmal die „Harry Potter Filme“ gesehen hat, wird schwerlich bei einer nachfolgenden Lektüre das Erscheinungsbild von Hogwarts in seiner Vorstellung ablegen können.

Wir wollen uns in dieser Stegreifaufgabe der Herausforderung stellen, ob und wie man einen Transfer zwischen Literatur und Architektur- bzw. vielmehr Raumvisualisierung vornehmen kann. Inwiefern eignet sich Literatur als Entwurfsinspiration.

Aufgabe ist es, eine der unten stehenden Textpassagen auszuwählen und in eine räumlich, visuell wahrnehmbare Situation zu „übersetzen“. Es wird ein explizit experimenteller Ansatz gefordert. Zu entwerfen ist eine Raumsitation, deren Charakter das Geschriebene erfahrbar werden lässt, jedoch ohne den Versuch, das Gelesene nur objektiv abzubilden. Eine starke Interpretation ist wünschenswert.

Es gilt ein spannungsvolle Komposition eines Raums zu entwickeln, die zudem eine eindeutige Lichtsituationen aufweist. Es kann sich dabei um eine Innen- oder Aussenraumsituation handeln. Dies geschieht mittels eines physischen, szenografischen Modells. Alle Materialien sind erlaubt. Wichtig ist, dass die Materialien eine wahrhaftige, stark at­mo­sphä­rische Szene erzeugen. Sie werden gewissermaßen zu stillen Protagonisten, zu Bühnenbildern, Kulissen und Requisiten. Durch Maßstabsverschiebung, Ausschnitt, Focus o.ä. werden Materialien dekontextualisieren und in einen neuen Wirkungs- und Wahrnehungszusammenhang gebracht. Raumverständnis, Übersetzung sind überaus persönlich und interpretativ. Welches Vokabular, auch jenseits tradierter Vorstellungen kann herangezogen werden?

Aufgabenstellung Stegreif WS 1920